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Infos für Angehörige

Auf dem schwierigen Weg begleiten…

 

 Bild: istockfoto.com/mattjeacock

Vor der Transplantation

Inzwischen ist die Durchführung von Transplantationen aufgrund der Erkenntnisse und technischen Fortschritte in der Medizin zum Standardverfahren beim terminalen Organversagen geworden. Ins Zentrum des Interesses - wenn auch immer noch nicht ausreichend - sind somit ebenfalls die Probleme der Transplantierten gerückt. Für die Betroffenen ist der Eingriff eine immense physische und psychische Belastung.

Die Wartezeit auf ein Organ kann sich über zwei Jahre erstrecken, in denen die Patienten den Eingriff herbei sehnen und gleichzeitig fürchten. Es entstehen Ängste, das Angebot könne zu spät kommen, sie befürchten Komplikationen bei der Operation und können es sich kaum vorstellen von technischen Apparaten und der Unterstützung anderer abhängig zu sein.

Nicht zu vergessen, befindet sich der Patient auch in sozialer Hinsicht in einer meist extrem veränderten Lebenssituation. Körperliche Beschwerden führen zur frühzeitigen Aufgabe der Berufstätigkeit, und auch soziale Kontakte und Aktivitäten sind durch die eingeschränkte Mobilität nur noch teilweise durchführbar. 

Die Bedeutung der Angehörigen

Weitaus weniger Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang den Angehörigen der Transplantierten geschenkt, obwohl für sie in der Wartezeit vor der Transplantation und in der Zeit danach eine erhöhte psychische Belastung nachgewiesen werden konnte. In Studien konnte z.B. festgestellt werden, dass das Stresserleben von Angehörigen von Herztransplantierten vor der Transplantation deutlich höher ist als das in der Allgemeinbevölkerung. Auch dass bei 56% der Angehörigen innerhalb von drei Jahren nach der Herztransplantation kumulativ psychische Störungen auftreten, v.a. Depressivität oder posttraumatische Belastungsstörungen, konnte in Untersuchungen gezeigt werden.

Im Rahmen einer Längsschnittstudie, die die Bedeutung der Familie im Krankheitsverlauf darstellt, wurden folgende Ergebnisse gefunden: jene Patienten mit ausreichender Empathie, Fürsorge und Unterstützung  seitens des Partners, haben die besten Aussichten auf einen guten Verlauf.

Diese Anforderungen an den Angehörigen lassen sich mitunter nur schwer erfüllen. Der Krankheitsverlauf wirkt sich, mit der häufig einhergehender Symptomverschlechterung und der Angst, die Wartezeit nicht zu überleben, für die Patienten und deren Familie als äußerst belastend aus. Die Ungewissheit, wann ein Spenderorgan zur Verfügung stehen wird, und die Befürchtungen, die die Operation selbst und die Zeit danach betreffen, können bei den Angehörigen zu erhöhtem Stresserleben, einem depressiven Stimmungsbild und zahlreichen Anpassungsproblemen führen.

Was erwartet die Angehörigen in dieser schwierigen Situation?

Auf eine Situation, wie sie sich im Verlauf einer Transplantation darstellt, ist kaum jemand wirklich vorbereitet, weder der Patient noch der Angehörige. Auch wenn die Krankheitsvorgeschichte bereits einen längeren Vorlauf hat, ist die Nachricht, dass das eigene Herz nicht mehr die Leistung zum Weiterleben erbringt, ein tiefgreifender Schock, der mit einer physisch und psychisch existenziellen Bedrohung einhergeht.

Der Patient ist damit konfrontiert, dass sein Leben an einem seidenen Faden hängt, seine körperliche Integrität und Unversehrtheit sind bedroht. Das mobilisiert in ihm Gefühle massiver Angst und tiefster Verzweiflung aber auch Hoffnung, das Organ möge sich erholen.

Die Angehörigen erleben ein Familienmitglied, das sich mit all diesen Problemfeldern auseinandersetzen und sie in irgendeiner Form bewältigen muss. In vielen Fällen, meistens kurz Zeit nach der Diagnosestellung, werden diese Bedrohungen und die damit zusammenhängenden Ängste durch Verdrängung, Bagatellisierung, Verleugnung oder Nicht-wahr-haben-wollen zur Seite geschoben, was zunächst eine völlig normale Reaktion darstellt.

Die Angehörigen erleben dann den Patienten als verschlossen oder zurückgezogen. Er weigert sich über die Erkrankung zu sprechen und lehnt Hilfestellungen ab, da dies die Akzeptanz der Erkrankung bedeuten würde. Eine Auseinandersetzung ist kaum möglich und nicht selten erlebt sich der Angehörige außen vor oder sogar allein gelassen. Im späteren Verlauf können sich Symptome einer Depressivität oder eine Angststörung bei dem Patienten zeigen, dann wenn die Verdrängungsmechanismen nicht mehr ausreichend aufrecht erhalten werden können. Besonders während der zermürbenden Zeit des Wartens auf ein geeignetes Organ reagieren einige Patienten unter Umständen mit psychisch krankheitswertigen Symptomen.

Die Angehörigen müssen das veränderte Verhalten des Betroffenen stückweise akzeptieren und ihn dabei begleiten. Letztendlich steuern sie einen bedeutenden Anteil zur Genesung, Compliance und zum Behandlungserfolg bei.

All diese Belastungen beeinflussen die Qualität der bestehenden Beziehung natürlich zutiefst. Es entstehen Auswirkungen auf das gesamte Familiengefüge und führen zu Neudefinitionen der einzelnen Rollen in der Familie. Je nach Stellung im Familiengefüge (Eltern, Kinder, Partner) sind die betroffenen Angehörigen mit vielfachen Erwartungen konfrontiert. Sie müssen Aufgaben übernehmen, die sich von ihrer bisherigen Rollenübernahme unterscheiden. Das wirkt sich auf das Selbstbild und die Lebenszufriedenheit aus, ebenso wie auf das Belastungserleben und die Motivation der Familienmitglieder.

Wie soll man sich gegenüber dem kranken Partner verhalten?

Die Angehörigen stehen immer wieder vor dem Problem, nicht zu wissen, wie sie sich gegenüber dem kranken Partner verhalten sollen. Manche bagatellisieren und verleugnen den Ernst der Situation, ähnlich wie der Betroffene selbst. Andere reagieren dabei vielfach überfürsorglich und haben das Bedürfnis den Kranken zu kontrollieren. Durch ein überfürsorgliches Verhalten werden Gefühle von Hilflosigkeit und Angst um den geliebten Partner weniger spürbar, „man kann wenigstens etwas tun“.

Die Angehörigen fungieren dann als eine Art Krankheitsmanager, sie organisieren Hilfen, beschaffen Informationen, motivieren, trösten, ermuntern und leisten emotionale Unterstützung für den Kranken.

Sie müssen Hoffnung vermitteln, auch wenn sie sich selbst vielleicht schon hoffnungslos fühlen. Sie sind Partner, Psychologe, Krankenschwester und Sozialarbeiter in einer Person. Das eigene Leben steht still, eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt, obwohl meistens noch die Doppelbelastung durch den eigenen Arbeitsalltag oder einen langen Fahrweg hinzukommen.

Nicht selten entwickeln Angehörige hierbei Schuldgefühle, wenn sie ihr meist strenges Besuchsregime nicht aufrecht halten können. Oder sie verleugnen, dass sie sich auch mal über den Kranken ärgern, sogar richtig wütend auf ihn sind, weil er jetzt so viel Beachtung fordert oder sich zurückzieht o.ä. Häufig gestehen sie sich die eigenen Gefühle nicht ein und gehen davon aus, die Kontrolle über die eigene Emotionalität nicht verlieren zu dürfen. Die eigene „Funktionstüchtigkeit“ muss um jeden Preis erhalten werden. Der Preis kann dann sogar die eigene Gesundheit sein. Oft entspricht das Beschwerdebild einem sog. "Burnout-Syndrom", das mit Gefühlen der Erschöpfung und Überforderung einhergeht.

Nach der Transplantation 

In der postoperativen Phase auf der Intensivstation ist der Angehörige Situationen ausgesetzt, die seine Hilflosigkeit nochmals verdeutlichen. Die Belastung nimmt in dieser Zeit nochmals zu und wird kaum noch aushaltbar für die begleitende Person.

Obwohl das ersehnte Organ endlich eingepflanzt werden konnte, erhöht sich in dem Zeitraum nach der Operation das Risiko von Komplikationen wie Nachblutungen, Infektionen oder Abstoßungsreaktionen. Der Kampf um das Überleben kann sich dramatisch zuspitzen und die Konfrontation mit dem Tod, und somit die Angst den Partner zu verlieren, rücken bedrohlich näher.

Verlassenheitsängste sind zutiefst verunsichernde Gefühle, welche mit dem Verlust von Sicherheit und auch mit der Sorge um die eigene Person verbunden sind. Nicht zuletzt können sich hierbei die Ängste bezüglich der eigenen Sterblichkeit aktualisieren. Manchmal zeigt sich die innere Auseinandersetzung in (Alp-)träumen, weil sie bewusst nur sehr mühsam geleistet werden kann. Nicht selten zeigen sich auch Symptome einer depressiven Reaktion in Form von Schlafstörungen, Erschöpfung, Antriebslosigkeit verbunden mit innerer Anspannung und/oder Traurigkeit. 

Die Zeit in der Rehaklinik

Nach all der Mühsal ist der Schritt in eine Rehabilitationseinrichtung lang ersehnt und verknüpft mit der Hoffnung, die akute Bedrohung sei erst mal überstanden. Die Gefahr, das neue Organ aufgrund einer Abstoßungsreaktion zu verlieren, ist allerdings ein Risiko, das weiterhin virulent ist. In einigen Fällen sind Wiederaufnahmen ins Krankenhaus unvermeidbar. Die emotionalen Reserven des Angehörigen sind durch die Kräfte zehrende Zeit beinah aufgebraucht und die Erschöpfbarkeit tritt deutlicher zu Tage bzw. kann eher zugelassen werden. Die Überlastung kann bisweilen erst jetzt, mit der zeitlichen Distanz, realistisch wahrgenommen werden.

Nach der Entlassung nach Hause

Nach der Entlassung nach Hause stehen der Betroffene und seine Angehörigen vor weiteren Herausforderungen. Der Alltag, der vor der Erkrankung vorherrschte, ist gestört und das familiäre Gefüge ist irritiert. Der transplantierte „Patient“ muss seine neue Rolle finden und die Familienmitglieder mit ihm. Für ihn ist es vor allem wichtig, eine Schonhaltung zu vermeiden und erlerntes Krankheitsverhalten wieder abzulegen und die neu gewonnenen Möglichkeiten zu nutzen. Es scheint fast verlockend, trotz eines stabilisierten Gesundheitszustandes die Rolle des „Kranken“ weiterhin zu übernehmen.

Hier sind wiederum die Angehörigen gefordert, einerseits das veränderte Verhalten des Betroffenen zu begleiten, andererseits die Selbständigkeit und die bestehenden körperlichen und psychischen Ressourcen zu fördern. Ein zwischenmenschlicher Umgang, der viel Feingefühl erfordert. Das familiäre Gesamtsystem muss hier eine enorme Anpassungsleistung erbringen.

Was können die Angehörigen für den Patienten tun?

Da die Angehörigen vor allem eine überfürsorgliche Haltung zeigen, scheint es sinnvoll, sie eher zu ermuntern, eine angemessene Versorgungshaltung einzunehmen. Es ist sicherlich wichtig seine Präsenz anzubieten und auch Gesprächsbereitschaft deutlich zu signalisieren.

Sie sollten allerdings darauf vorbereitet sein, dass die Stimmungslage des Betroffenen sehr schwanken kann. Fordert der Patient einen Rückzugsrahmen ein, sollte dieser akzeptiert werden und unter Umständen an weitere Familienmitglieder vermittelt werden. Auch deshalb ist eine große Portion Geduld die am meisten gefordert Eigenschaft.

Sollten die Stimmungsschwankungen oder auch die Rückzugtendenzen anhaltend und sehr ausgeprägt sein, ist es sinnvoll, diese zu thematisieren und unter Umständen professionelle Hilfe mit einzubeziehen.

Was können die Angehörigen für sich tun?

Denken Sie daran, dass „da sein“ in vielen Fällen schon eine große Hilfe ist, auch wenn es hilflos macht, „nichts tun“ zu können.

  •     Vermeiden Sie Schuldgefühle.

Spüren Sie dem Gefühl nach und versuchen Sie für sich zu verstehen, warum Sie sich schuldig fühlen. Übernehmen Sie die Verantwortung für den Krankheitszustand des Betroffenen oder haben Sie ständig das Gefühl „mehr“ tun zu müssen? Sprechen Sie mit anderen darüber und sein Sie dabei realistisch und fair zu sich.

  •     Versuchen Sie sich abzugrenzen.

Auch Sie haben einen Anspruch auf Selbstfürsorge und es nützt keinem, wenn ihre Ressourcen aufgebraucht sind. Versuchen Sie es mit ganz konkreten Maßnahmen: Planen Sie die Besuchszeit im Krankenhaus konkret und limitiert ein. Denken Sie daran, sich „Besuchspausen“ anzuordnen. Machen Sie Besuche nicht um jeden Preis, Sie können sich auch telefonisch nach dem Befinden erkundigen.

  •    Sie dürfen auch mal auf den „Patienten“ sauer sein.

Niemand hält es über lange Zeit aus, seine Gefühle immer in Schach zu halten. Besonders nicht, in einer so angespannten Situation. Sprechen Sie über ihre Gefühle und versuchen Sie dabei bei sich zu bleiben und nicht vorwurfsvoll zu sein, dann kann das Gespräch als Entlastung für beide Seiten sehr förderlich sein.

  •     Stärken Sie ihre eigenen Ressourcen und vergessen Sie nicht, dass auch Sie noch Bedürfnisse haben dürfen.

Auch wenn im Augenblick die Sorge und Zuwendung auf den Patienten fixiert ist, lassen Sie ihr Leben nicht vollkommen still stehen. Versuchen Sie dabei für die eigenen Überforderungen sensibel zu sein.

  •     Nutzen Sie Therapie- und Gesprächsangebote.

Gestehen Sie sich zu, dass auch ihre Kraftreserven erschöpft sein dürfen. Für eine lebensbedrohlich erkrankte Person langwierige Unterstützung zu leisten, führt zwangsläufig zu Erschöpfung und Ausgebrannt sein, wenn Selbstschutzmechanismen nicht einprogrammiert werden.

  •     Burnout-Zeichen sollten frühzeitig erkannt werden.

Dann müssen hilfreiche Maßnahmen, wie z.B. Psychotherapie, getroffen werden. Gleichzeitig sollte hier sowohl auf der organisatorischen Ebene wie auch im emotionalen Erleben eine Entlastungen und Veränderungen erfolgen.

 


Anita Hudalla, Diplompsychologin

DHZB Psychosomatik
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Tel.: 4593-2190