4 - Gedanken
Seitdem ich weiß, wann es für mich zu den Voruntersuchungen nach Jena geht und es danach auch nicht mehr lange bis zur Transplantation dauern wird, beschäftigt mich der Gedanke daran, transplantiert zu werden auf eine andere Art und Weise, als noch zu Beginn meiner Krankheitsgeschichte.
Ist es bisher ein Anruf gewesen auf den man gewartet hat, ist es jetzt ein geplanter Ablauf mit einem Spender den ich kenne. Und dem kann ich vorher und auch nachher ins Gesicht schauen und ewig dankbar für dieses neue Leben sein. Bisher hat mein Telefon zweimal geklingelt und es hieß: „Wir haben vielleicht ein Organ für Sie, kommen Sie sofort ins Krankenhaus.“ In diesem Momenten war ich total überrumpelt und konnte nicht viel nachdenken, weil man sich gleich in einem Strudel aus Hektik, Panik, Nervosität und Angst befindet. Aber natürlich auch Hoffnung. Und der Wunsch, dass das alles endlich vorbei und überstanden und überlebt ist!
In dieser Woche hat sich ein Gedanke den Weg gebahnt, der wohl schon eine Weile da war, den ich aber nie ausgesprochen habe: Ich wollte in dieser Woche meine Familie besuchen. Immerhin ist es kurz vor Weihnachten und da ich das Fest nur mit meinem Mann verbringen werde, wollte ich nochmal die Menschen besuchen, die mir am Wichtigsten sind. Der Koffer war gepackt, die Zugverbindung rausgesucht und dann hieß es: Die Bahn streikt und einige Leute, die ich besuchen wollte, sind erkältet: „Bleib bitte lieber in Hamburg“. Ich schaffe es meistens relativ gut, meine Ge-fühle für eine Weile zu unterdrücken, aber in dem Moment war mir alles zu viel. Der Gedanke, dass bei dem Eingriff doch etwas schief geht und ich meine Familie und Freunde nicht noch einmal getroffen habe oder nicht genug Zeit für jeden hatte, hat mich so überrollt, das von jetzt auf gleich die Tränen sturzbachartig geflossen sind. Und dann war er da, der Satz der mich so umtreibt: “Warum kann nicht einfach ein Arzt zu mir sagen: ‚Es tut uns leid, aber wir haben uns getäuscht, Sie sind kerngesund und können gehen. Nichts für Ungut.‘“ Und die einzige Antwort, die mir mein Mann darauf geben konnte war: „Weil das leider nicht passieren wird. Weil du leider krank bist.“
Ich wünsche es Niemandem, aber ich glaube es, ist schwer zu verstehen, wenn man nicht als Angehöriger oder Patient betroffen ist , in was für einem permanten Ausnahmezustand man sich befindet (und damit meine ich jede so einschneidende Erkrankung). Anfangs spürt man die Angst und die Einschränkungen noch täglich. Ich bin in ein ziemliches Tief gefallen, und es hat einige Zeit gedauert, sich da wieder rauszukämpfen. Man gewöhnt sich an die Vorsichtsmaßnahmen, die man trifft. Besondere Absicherungen, wenn man mal länger wegfahren will, zum Beispiel. Die Liste von Ärzten, die man an jeden verteilt, der mit einem unterwegs ist. Jeden Abend vor dem schlafen noch eine kleine eiweißreiche Mahlzeit zu sich nehmen zu müssen, gehört zu den angenehmern Restriktionen. Aber es sind alles kleine Einschnitte, an die man sich gewöhnen muss. Auch für die Angehörigen ist es schwer den geliebten Menschen nicht nur als Patienten zu sehen, sondern auch wieder als jemanden, der auch Dinge alleine machen kann, will und möchte. Aber auch das muss man ihnen zugestehen. Denn, ich kann nur von mir sprechen, ich mache oft mehr als ich sollte und überfordere mich damit. Da ist es wichtig, dass einem auch mal gesagt wird, man soll einen Gang runterschalten. Auch wenn einem das in diesem Moment überhaupt nicht gefällt.
Es ist wichtig über solche Gefühle und auch über seine Ängste zu reden. Und auch wenn man sonst eher mal nachts in sein Kissen weint oder wenn keiner da ist, ist es auch keine Schande mal hemmungslos loszuheulen wenn jemand dabei ist. Man kann nicht immer stark sein. Und ich für mich kann nur sagen, man sollte es auch nicht versuchen. Denn die Menschen die einen kennen und verstehen, merken einem eh an, dass was nicht stimmt. Und das ist doch auch irgendwie was Schönes.
(P.S. Danke an eine liebe Freundin aus Berlin und Frau Suppengrün. Danke den kleinen Grinch. Und auch danke dem Stützerich.)