Herzschlag nach Herzschlag
von Karin und Frank-Rüdiger Hoppe
Eine Herztransplantation
Gerade habe ich mit Unterstützung der Schreibwerkstatt mein zweites Buch fertiggestellt, das ausschließlich über meine Krankheit und die damit verbundenen Tatsachen berichtet. Und das von der Diagnosestellung im September 1992 bis zu meiner Herztransplantation im Dezember 2016.
Der Verlauf dieser Herztransplantation, die medizinischen Tatsachen und die emotionalen Empfindungen, haben meine Frau Karin und ich in diesem Bericht zusammengefügt.
Alle Namen von Privatpersonen, seien sie verstorben oder noch am Leben, wurden geändert. Jegliche Übereinstimmung zu noch lebenden oder verstorbenen Personen sind nach dem Zufallsprinzip.
Auch Namen für öffentliche sowie private als auch medizinische Einrichtungen beruhen auf dem Zufallsprinzip.
Frank-Rüdiger
Am 11. Oktober 2016, einem Dienstag, hatte ich wieder einen ambulanten Vorstellungstermin im Herzzentrum Berlin. Da lebte ich schon länger als drei Jahre mit einem linksventrikulären Kreislaufunterstützungssystem. Der Volksmund sagt zu solch einem Überlebensgerät „Kunstherz“.
Mein Stammtaxifahrer war nicht mehr im Fahrdienst. Seine Nachfolgerin stand an diesem Morgen pünktlich um 4:45 Uhr vor unserem Haus in Nordhausen. Los ging meine Reise. Es war noch stockdunkel. Auf der A38, nahe bei Sangerhausen, begann mit einem Mal die Zentrale meines Kunstherzens Alarm zu geben. Ich habe mich erschrocken und die Taxifahrerin noch viel mehr. Diesen schrillen Ton hatte ich noch nie von meinem Kunstherz gehört. Im Display konnte ich ablesen „Wenig Blutfluss“. Das war mir unbekannt. Meine Chauffeurin fragte mich sehr aufgeregt, ob sie einen Notarzt rufen solle. „Nein, nein“, sagte ich. „Wir nehmen den nächsten Parkplatz.“ Ich rief die Abteilung Kardiotechnik im Herzzentrum Berlin an. Zum Glück war der Chef gleich zu sprechen. Nachdem ich ihm meine Situation geschildert hatte, empfahl er mir, sofort einen halben Liter Mineralwasser zu trinken. Ich tat das und danach war der Alarm tatsächlich weg. Der Kardiotechniker war beruhigt und ich auch.
„Wie geht es nun weiter, Herr Hoppe?“, fragte die Taxifahrerin. „Machen Sie Ihrem Mercedes ordentlich Dampf“, antwortete ich. Das tat sie. Nach Halle an der Saale ging es auf der Autobahn mit schnellem Tempo weiter Berlin entgegen. Wenige Minuten nach 8:00 Uhr stand ich im Herzzentrum an der Anmeldung. Das Beantworten obligatorischer Fragen war immer das gleiche. Noch vor 9.00 Uhr war ich auf der mir zugewiesenen Station. Der Rest des Tages diente meiner Erholung. Am nächsten Tag sollte bei mir ein Rechts- und Linksherzkatheter gemacht werden. Ich telefonierte mehrmals mit Karin. Die folgende Nacht hatte einen ruhigen Verlauf. Schlafen konnte ich trotzdem nur schlecht. Mein Mitpatient auf dem Zimmer, ebenfalls ein Mann mit Kunstherz, erzählte über Gott und die Welt. Nach 22:00 Uhr machte ich meinen Fernseher aus.
Am nächsten Morgen beim Frühstück gab mein Kunstherz wieder Alarm. Genauso wie tags zuvor. Ich drückte die Ruftaste an meinem Bett. Keine Minute später stand Frau Dr. Klingbeil mit einer ihrer Krankenschwestern neben meinem Bett. Mit dem Handy rief sie bei Dr. Kriengel an.
Der veranlasste sofort eine Echokardiographie von meinem Herzen, die er auch selbst ausführte. Im Ergebnis zeigte sich, dass in dem Verbindungsschlauch von der Pumpe meines Kunstherzens zur Aorta, der in meinen Körper lag, sich zwei Blutgerinnsel gebildet hatten. Demzufolge hatte ich nur einen sehr geringen Blutfluss zu meinen anderen Körperorganen. Die Ärzte und Schwestern waren erstaunt, dass ich bei dem geringen Blutfluss so entspannt im Bett lag. „Herr Hoppe, da war das Glück auf Ihrer Seite. Die Sache ist sehr ernst. Wir verlegen Sie sofort auf die Station H 3.“ Es war inzwischen Mittagszeit geworden. Von meinem Essen aß ich drei Gabeln voll.
Kurz vor 13:00 Uhr wurde mir über meinen ständigen Zugang am linken Arm ein flüssiges Arzneimittel gespritzt. Eine „Lysetherapie“ wurde eingeleitet, was zur Folge hatte, dass mein Blut noch viel dünner wurde, als es schon war. Dadurch lief das Gewebe meines linken Armes mit Blut voll. Später sah ich an meinen Oberschenkeln auch sogenannte Blutflecke.
Eine Krankenschwester beruhigte mich: „Herr Hoppe, keine Bange, das geht alles wieder weg.“ Ziel der Aktion war, dass sich die Blutgerinnsel auflösen sollten. Den Gefallen taten sie mir nicht. Sie wanderten im Schlauch nur ca. zwei Zentimeter weiter. In unregelmäßigen Abständen gab mein Kunstherz weiter Alarm.
Nach 16:00 Uhr kam Dr. Eiche zu mir ins Zimmer. „Herr Hoppe, morgen früh gleich nach 08:00 Uhr werden wir bei Ihnen im Herzkatheterlabor eine kleine Operation machen. Wir werden alles versuchen, um Ihnen in den Schlauch über Ihre rechte Leiste einen langen Stent einzubringen. Das macht Dr. Sarnejew. Er ist Spezialist auf diesem Gebiet. Sie werden eine Narkose bekommen und somit nichts davon merken.“
Die ganze Nacht machte ich kein Auge zu. Immer wieder schaute eine Krankenschwester nach mir.
Die Operation am nächsten Tag verlief erfolgreich. Vor 12:00 Uhr erwachte ich aus meiner Narkose und sah Herrn Rosenblatt. Er hob seinen rechten Daumen. Da war mir klar: Der Blutfluss in meinem Körper war wieder gegeben. „Wir bringen Sie gleich auf die Station. Da bekommen Sie Mittagessen und können sich ausruhen.“ Als ich vor mich hin duselte, es war inzwischen nach 13:00 Uhr, kam Dr. Eiche in mein Zimmer und fragte nach meinem Befinden. „Soweit ganz gut“, antwortete ich. „Die „Lyse“ ist zwar negativ verlaufen, doch mit dem Stent hat alles gut geklappt. Um ein Nachbluten zu verhindern, müssen Sie jetzt vier Stunden Bettruhe halten.
Was da in den letzten beiden Tagen passiert ist, kann jeder Zeit wieder geschehen. Sie hatten Glück, dass Sie auf dem Weg zum Herzzentrum waren. Aber es kann auch noch schlimmer kommen. Der Schlauch kann sich in Windeseile vollkommen zusetzen und dann könnten Sie schnell sterben.
Wenn Sie einverstanden sind, würde ich Sie sofort in Leiden (Niederlande) HU listen lassen.“
„HU“, das hieß „Höchste Dringlichkeitsstufe für eine Herztransplantation“. Nur Sekunden überlegte ich und sagte zu. Seitdem es mir so schlecht ging, war es immer mein Wunsch transplantiert zu werden. „Hopp oder topp“ war meine Einstellung zu der Situation. Karin und unsere Söhne wussten davon seit Langem.
Vom 07. Juni bis 28. Juli 2013 war ich schon einmal HU gelistet worden. Als sich dann aber mein gesundheitlicher Zustand in wenigen Tagen rapide verschlechterte, wurde mir am 28. Juli 2013 in einer vierstündigen Operation mein „Kunstherz“ implantiert, damit ich weiterleben konnte.
Bis zum Abend der neuen HU-Listung kam keine Nachricht aus Leiden. Ich telefonierte mit Karin. Das tat uns beiden gut.
Nach dem Abendessen, noch vor 20:00 Uhr, wurde ich auf die normale Herzstation in ein Zweibettzimmer verlegt. Mein Bettnachbar lebte auch mit einem Kunstherz und tat mir am Abend noch kund, dass es nie sein Ziel gewesen sei, transplantiert zu werden. Mein innerlicher Kommentar dazu: „Das kann sowieso nur jeder für sich selbst entscheiden.“
Am nächsten Morgen, es war Freitag, der 14. Oktober 2016, kam Dr. Pogelstein überstürzt in unser Zimmer. „Herr Hoppe, die Nachricht aus Leiden ist da und sie ist positiv. Sie sind HU-gelistet.“ Es freute mich, dass ich diesen Schritt geschafft hatte. Gegen Mittag sollte ich in unser Wartekrankenhaus „Pauline“ verlegt werden. Diese Nachricht bedeutete für mich, dass ich nun bis zu meiner Transplantation nicht mehr nach Hause kommen würde, egal, wie lange die Wartezeit auf mein Spenderherz auch sein würde. Auch das Gelände der „Pauline“ durfte man als HU-gelisteter Patient nicht mehr verlassen. Ich hatte den ganz festen Willen zu warten, egal, wie lange es dauern würde.
Eine Schwester half mir meine Sachen zu packen. Zum Mittagessen war ich schon in der Pauline und zog in ein Zweibettzimmer auf der Station P4. Der übliche Krankenhaustrott mit Anmeldung usw. ging schnell.
Am Nachmittag holte ich mir eine lnternetanmeldung, um mit Karin skypen zu können. Mein Gesundheitszustand stabilisierte sich immer mehr. Ein paar Tage später konnte ich zum Mittagessen schon in die Cafeteria gehen. Da lernte ich unter anderem Jan Paul Belter kennen. Er wartete schon länger als ein Jahr auf ein Spenderherz.
Karin
Im Oktober 2016 war wieder ein Termin für Frank-Rüdiger im DHZB zur Kontrolle. Sein Kunstherz hatte er schon über drei Jahre und das tägliche Leben war danach ausgerichtet.
Seit Beginn des Jahres gab es immer wieder Situationen, Schwindel und Unruhegefühl, in denen wir uns sorgten.
Die Technik hatte auch ihre Tücken, und es kam öfter der Gedanke bei mir, wie lange das so noch geht. Auch an diesem elften Oktober; als mein Mann das Taxi bestieg, um zu besagtem Kontrolltermin zu fahren. Im Laufe des Vormittages rief er an und sagte mir, dass das Kunstherz Alarm gegeben hat, so stark, wie er es noch nie erlebt hatte. Er hatte sich mit dem Herzzentrum in Verbindung gesetzt und die Daten durchgesagt, welche die Steuerung anzeigte. Der Blutfluss war zu niedrig, er sollte sofort viel trinken und somit war für den Moment geholfen. Im Herzzentrum angekommen wurde er schon erwartet. Zunächst wurde die Technik überprüft, diese war in Ordnung. Am nächsten Morgen trat der Alarm wieder auf.
Die Untersuchungen ergaben Blutgerinnsel im Schlauch, welcher das Kunstherz mit dem Herzen verbindet. Daraufhin erfolgten notwendige Untersuchungen, das hieß: Frank-Rüdiger bleibt in Berlin.
Wir waren ständig in Verbindung, mindestens morgens und abends sprachen wir über den gegenwärtigen Stand der Gesundheit. Nach einigen Tagen stand fest: Frank-Rüdiger ist dringlichst gelistet für eine Herztransplantation, das heißt, das Krankenhaus nicht mehr verlassen, bis ein Spenderorgan da ist oder die Krankheit siegt.
Für den Moment fand ich diese Tatsache beruhigend, mein Mann war unter ärztlicher Obhut.
In der Nacht wurde er jeweils an Überwachungsgeräte angeschlossen. Dieses beruhigende Gefühl hielt etwa zwei Minuten an und dann fielen meinem Kopf alle möglichen Eventualitäten ein, welche es nur gibt. Ich musste erst mal sortieren, es war wie so oft im Leben, alles anders. In der Zeit, in der wir auf den Tag der Entscheidung warteten, drehte sich die Erde aber weiter!
Frank-Rüdiger
Karin informierte unsere Verwandten und Bekannten über unsere neue Lebenssituation. Hin und wieder erhielt ich Anrufe oder ich rief jemanden an. Nach drei Tagen hatte ich das Gefühl, so richtig in der „Pauline“ angekommen zu sein. Das erste Mal besuchte mich dort Karin am 23. Oktober 2016. Das Wetter war an diesem Tag sehr schlecht. Sie kam zusammen mit Ina, somit brauchte sie nicht alleine fahren. Mehrere Biker-Pärchen besuchten mich am 31. Oktober 2016 und brachten auch Karin mit. Das war sehr schön. Heidi, die gute Seele der Biker-Truppe, hatte mir Schokoladenpudding gekocht. Eine prima Idee von ihr.
Am 20. November 2016 war Karins 60. Geburtstag. Sie hatte unsere Verwandten und Bekannten und die Biker-Truppe zu einer großen Feier eingeladen. Ich konnte leider nicht dabei sein. Mich machte das sehr traurig. Aber so ist nun mal das Leben! Einen Tag später besuchte mich Uwe. Bei freundlichem Wetter konnten wir nach dem Mittagessen für kurze Zeit im Außengelände Spazierengehen. Wir redeten über Alltägliches und er half mir bei kleinen Computerproblemen, in den Nachmittagsstunden machte er sich auf zu seiner Heimfahrt in die Schweiz.
Der November ging langsam seinem Ende entgegen. Im Außengelände der „Pauline“ war das Spazierengehen nun nicht mehr möglich. Die großen Blumenkübel mit den Trompetenbäumen waren vor Wochen schon in wärmere Gefilde gebracht worden. Das Wetter war sehr unfreundlich und kalt. Ich dachte immer wieder: „Bloß keinen grippalen Infekt einfangen!“ Mit einer Erkältung wäre eine Transplantation nicht möglich.
Transplantation vom 07. zum 08. Dezember 2016
Immer auf den entscheidenden Moment hoffend und darüber nachdenkend, wie das dann wohl ablaufen würde, verging auch der 56. Tag meiner Wartezeit auf ein Spenderherz. Das „Bayernlos“ im bayrischen Regionalfernsehen hatte ich an diesem Donnerstagnachmittag nicht gesehen. Ein wenig ärgerte mich das. Beim Aufstehen am Morgen um 7:00 Uhr erzählte der Pfleger bei seiner morgendlichen Runde von den Transplantationen, die es bis zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2015 gegeben hatte. Seiner Auskunft zufolge waren es weniger als zehn. 2016 sei es kaum besser geworden und das Jahr war fast zu Ende. Die Zahl erschreckte mich, weniger als zehn war nicht viel. Meine Stimmung heilte sich aber schnell wieder auf.
Ich hatte den eisernen Willen und sei es bis „Ultimo“, hier zu warten. So war es mit Karin und unseren Söhnen abgesprochen. Mein Wunsch war immer, so auch an diesem Morgen, transplantiert zu werden. Aber immer unter Beachtung der gegebenen medizinischen Möglichkeiten.
Jan Paul Belter kam an diesem Morgen kurz nach 7:00 Uhr aus seinem Zimmer. Morgens ließ er es immer gemächlich angehen. Seine Laune war oft nicht gut. Auf Grund seiner Blutgruppe, das ist das Hauptkriterium bei einer Transplantation, wartete er schon länger als vierhundertzehn Tage. Meine 56 Tage Wartezeit waren dagegen wie ein „Fünfer im Lotto“. Ca. dreieinhalb Wochen nach meiner Transplantation hörte ich, dass er zwei Tage nach mir transplantiert wurde. Gesehen haben wir uns nie wieder. Später hörte ich von einer Bekannten, dass es ihm recht gut geht.
Am Abend des 7. Dezember 2016 schaute ich im heimatlichen Regionalfernsehen noch die allabendlichen Nachrichten. Zuhause, in Teilen Deutschlands sowie einigen Ländern Europas hatte der Winter Einzug gehalten. Karin war an diesem Abend zu einer Weihnachtsfeier. Wir hatten abgesprochen, danach nochmal zu telefonieren. Ich konnte nicht schlafen.
Mir fiel ein, dass in meinem Koffer noch zwei volle Bierflaschen lagen. Ich öffnete eine und gönnte mir den Genuss meines Lieblingsgetränks. Währenddessen läutete mein Handy. Karin war dran. Sie war gut heim gekommen. Wir wünschten uns gegenseitig eine gute Nacht.
Die Uhr auf meinem Handy zeigte 23:05 Uhr. Ich lag noch munter auf meinem Bett. Mein Zimmer - Mitpatient schlief schon. Lichtstrahlen von medizinischen Geräten waren immer im Zimmer zu sehen. Dadurch konnte ich 23:14 Uhr auf der Zimmeruhr ablesen. Plötzlich ging die Tür auf.
Eine Schwester kam herein und in ihrem Gefolge ein Arzt. Die Schwester sagte zu ihm: „Das ist Herr Hoppe!“ Der Arzt fragte mich, ob ich erkältet sei. Ich verneinte. „Wir haben ein Spenderorgan für Sie. Wollen Sie das haben? Wenn ja, bestelle ich für Sie sofort einen Transport ins Herzzentrum.“
„Tun Sie das!“, antwortete ich sehr schnell. Ich sollte gleich meine Sachen einpacken, er komme dann nochmal wieder.
Von dem Moment an war ich total aufgeregt und konnte meine Sachen nicht selbst einpacken. Die Schwester kam zurück und half mir dabei. „Wir kennen solche Situationen!“ Mir fiel ein, dass ich mal von der Stationsärztin gehört hatte: „Spenderherzen kommen in der Regel nachts.“ Das hatte ja nun geklappt!
Um 23:46 Uhr kam der Arzt nochmal zu mir und bestätigte, dass der Transport bestellt war, er sollte in ca. einer halben Stunde kommen. „Wenn Sie möchten, rufen Sie Ihre Frau noch an. Dann machen Sie Ihr Handy aus.“
Ich rief Karin an und sagte: „Hallo, mein Schatz, es geht los. Tschüss!“
Karin
Es war der 7. Dezember 2016, ich war von den Kollegen des Kunsthauses, wo mein Mann ehrenamtlich tätig ist, eingeladen. Wir waren im Theater und danach essen. Frank-Rüdiger wusste, dass ich noch anrufe, wenn ich wieder da bin. Kurz nach 22 Uhr war ich zu Hause, machte es mir bequem, Beine hoch legen, Telefon zur Hand und bei meinem Schatz anrufen. Er hatte sich gerade ein Bier gegönnt, wir sprachen kurz über den Tag und wünschten uns dann eine gute Nacht. Ich hatte den Fernseher angemacht, bin aber sehr schnell eingeschlafen.
Als mein Handy klingelte und ich sah, dass es Frank-Rüdiger war, war ich hellwach: „Es ist so weit, es geht los, tschüss, mein Schatz. “ Und schon hatte er aufgelegt. Mein Blick zur Uhr, es war 23:14 Uhr.
Das Telefon und mein Handy hatte ich, seit mein Mann in Berlin war, immer in Reichweite und dazu ein kleines Ringbuch, in welches ich täglich Eintragungen mache, damit mein Kopf Entlastung hat. Keine Ahnung, wie es wirklich weitergeht - also einfach machen. Ich habe Maik und Uwe angerufen. Wir kamen zu dem Schluss, dass ich zunächst nochmal auf der Station anrufe und mich nach dem weiteren Ablauf erkundige. Beide Söhne empfahlen mir, die Ruhe zu bewahren und erst mal einen Kräuter zu trinken. Das habe ich dann auch getan, zwei Kräuter getrunken.
Nachdem ich angerufen hatte und mir die Schwester sagte, wie der weitere Ablauf ist, stand fest: Morgen früh fahre ich nach Berlin. Gegen 2 Uhr überkam mich die Müdigkeit, und da ich den Koffer gepackt und mir alles notiert hatte, was am Donnerstagmorgen zu erledigen war, legte ich mich schlafen.
Am Morgen gegen sieben Uhr wurde ich wach und fühlte mich gut ausgeschlafen. Ich arbeitete meine Liste ab, sprach mit Maik und Uwe und rief bei unseren Freunden an, ob sie denn in der nächsten Stunde zu Hause seien. Sie bejahten, ich könne gleich kommen. Dann holte ich das Auto aus der Garage, packte Koffer und ein wenig Verpflegung ein und fuhr zu H. und M. in die Kyffhäuserstraße. Sie erwarteten mich schon, ich hatte am Telefon nicht gesagt, worum es geht.
Natürlich waren sie über den gegenwärtigen gesundheitlichen Zustand von Frank-Rüdiger informiert, bis auf die letzten 24 Stunden.
Wie soll ich eine solche Situation beschreiben - Freude, Hoffnung, Angst, Unsicherheit - alles unter Tränen. Genügend Taschentücher hatte ich eingepackt, viele Packungen Tempo.
Außer unseren Kindern wusste an diesem Donnerstagmorgen noch niemand, dass Frank-Rüdiger gerade ein Spenderherz bekam. Maik hatte für sich beschlossen, dass er auch gleich nach Berlin kommen wollte. Uwe bekam als Auftrag, mehrere Anrufe zu erledigen. Ab Mittag wollte er mit dem Herzzentrum in Verbindung bleiben und mit mir. So hatten wir drei es am Morgen telefonisch vereinbart.
Unsere Freunde sorgten sich nun wiederum, dass ich allein nach Berlin fahren wollte. Mit dem Versprechen, mich am Abend zu melden, machte ich mich gegen elf Uhr auf den Weg.
Ich dachte an Frank-Rüdiger, an unsere Kinder - Maik war ja auch unterwegs -, an unsere Freunde und Verwandten. Mittlerweile war ich auf der A 9 Richtung Berlin und machte eine Pause um etwas zu essen und einen Kaffee zu trinken. Ich fuhr die Raststätte an, es war halb eins, holte mir eine große Packung Chicken McNuggets und einen Kaffee. In Gedanken sah ich alle Menschen, die wir kennen, nacheinander vor mir und schlagartig wusste ich: Das kann ich so nicht machen. Die Biker haben sich immer um uns gekümmert und von diesem wichtigen Tag müssen sie gleich erfahren.
Also noch einen großen Kaffee holen und C. anrufen. Sie war überrascht, erfreut und besorgt, ein Überschwang an Gefühlen und Emotionen. Wir verabredeten, am Abend wieder zu telefonieren, sie rief dann alle an, um den derzeitigen Stand mitzuteilen. Auch ihr versprach ich, gut auf mich aufzupassen. Nach einer guten Stunde Pause fuhr ich weiter. Der Gedanke, was mich in Berlin erwartet, war mir immer gegenwärtig.
Frank-Rüdiger
Um 1:45 Uhr traf mein Transport in der „Pauline“ ein. Zwei Sanitäter holten mich auf der Station ab. Zuvor unterschrieb ich einen Transportschein, den die Sanitäter ausgehändigt bekamen. Zu meiner Sicherheit nahm ich in einem modernen Rollstuhl Platz, wurde angeschnallt und dann begann meine „Reise“.
Um Mitternacht war wenig Verkehr auf den nächtlichen Berliner Straßen. Nach einer halben Stunde erreichten wir das Herzzentrum. Man brachte mich sofort auf die Station H 3, wo ich erwartet wurde. Medizinische Vorbereitungen wurden an mir vorgenommen, u.a. eine Ganzkörperrasur.
Mein Gefühl danach möchte ich hier nicht beschreiben!
Um 3:30 Uhr brachte man mich in den Operationstrakt. Gleich im ersten Vorbereitungsraum wurde mir klar und deutlich gesagt: „Herr Hoppe, der Bart muss ab!“ Minuten später wurde ich in Narkose versetzt. Die Operation dauerte ca. neun Stunden. Gemerkt habe ich davon zu meinem Glück nichts.
Am nächsten Morgen, Donnerstag, informierte Karin unsere langjährigen Bekannten. Dann machte sie sich mit unserem Galaxy auf die Reise nach Berlin. Am späten Nachmittag stand sie an meinem Bett auf der Intensivstation. Uwe hielt telefonische Verbindung. Maik war auf dem Weg zu mir ins Herzzentrum.
Karin
Im Gästehaus des DHZB hatte ich Übernachtungen gebucht, war zuvor noch nie dort gewesen. Das Navi brachte mich gut hin, aber eh ich mich versah, war ich an der Einfahrt vorbei. Es war eine Einbahnstraße, also noch eine Runde drehen. Es wurden dann zwei und dann hatte ich es geschafft. Nach dem Einchecken im Zimmer angekommen, rief ich sofort Uwe an. Es war kurz vor 17 Uhr, er hatte ab dem Nachmittag auf der ITS angerufen und kurz bevor ich mich bei ihm meldete, wurde ihm gesagt, dass ich kommen könnte, Frank-Rüdiger sei gerade aus dem OP gekommen.
Heute noch, wenn ich diese Zeilen schreibe, höre ich meinen Herzschlag und ein Wechselbad der Gefühle zieht durch meinen Kopf.
Vom Gästehaus sind es nur wenige Meter in das Nachbargebäude, in welchem sich die Intensivstation befindet. Ich ging hinüber, klingelte, stellte mich vor und wurde eingelassen mit der Bitte, im Vorraum zu warten, man hole mich dort ab. Es gibt Schließfächer, um Taschen einzuschließen, Garderobe abzulegen; im Warteraum kann man Tee, Kaffee oder Mineralwasser trinken.
Nach einer Weile des Wartens kam ein Pfleger und sagte mir, es würde noch gut eine halbe Stunde dauern, es sei aber alles gut verlaufen und ich müsste mich nicht sorgen. Da nahm ich mir doch einen Kaffee, hing meinen Gedanken nach und hörte zu, was die anderen Menschen für Sorgen und Freuden hatten.
Allein war ich in dem Warteraum nie.
Als der Pfleger kam, um mich zu Frank-Rüdiger zu bringen, sagte er, ich bräuchte einen Mundschutz und müsse die Hände desinfizieren.
Durch einen langen Flur, vorbei an vielen Zimmern, kam ich zu meinem Mann. Als ich ihn sah, wurde ich sofort ruhig. Natürlich war er angeschlossen an Geräte, wurde beatmet und noch in Narkose, das alles störte mich nicht. Der Pfleger sagte, er schicke die Ärztin. Ich streichelte meinem Mann über die Stirn, der Bart war ab, das Gesicht glatt und faltenfrei, und ich erzählte ihm, was los war in den letzten vierundzwanzig Stunden.
Die Ärztin konnte mich noch mehr beruhigen, die OP sei gut verlaufen und mit dem jetzigen Zustand seien sie auch zufrieden. Natürlich kann in der nächsten Sekunde alles anders sein, zu unserem Glück kam eine solche Sekunde bisher nicht. Kurz vor 20 Uhr war ich wieder im Zimmer, habe mit den Kindern telefoniert und ausführlich berichtet. Maik, so hatten wir es abgesprochen, war zunächst bis Nordhausen gefahren. Am nächsten Tag ist er zeitig losgefahren und war am späten Vormittag in Berlin. An diesem Abend habe ich noch bis weit in die Nacht hinein telefoniert, neun Verwandte und Freunde angerufen. Ich weiß das noch heute so genau, da ich mir ständig Notizen gemacht habe, um diese Zeit auch für Frank-Rüdiger nachvollziehbar machen zu können.
Frank-Rüdiger
In der Nacht zum Freitag wurde ich aufgrund von Komplikationen nochmal zwei Stunden operiert. Mitbekommen habe ich von all dem Geschehen der letzten Stunden nichts.
Karin war bis Sonntagmittag an meinem Bett auf der Intensivstation. Am Nachmittag des Sonntags begannen die Ärzte langsam, mich aus dem Narkoseschlaf aufzuwecken.
Montag vormittag war ich richtig munter und sah mehrere Schläuche aus meinem Körper kommen. Wundsekrete wurden dadurch abgeleitet.
Dienstag gegen Mittag wurde ich vom Beatmungsschlauch befreit. Von da an musste ich lernen, wieder selbst zu atmen. Das fiel mir schwer. Meine Lunge musste sich erst langsam wieder aufbauen. Inhalationen mehrmals am Tag halfen mir dabei, bereiteten mir zu Beginn aber auch Probleme. Eine Spezialmatratze in meinem Bett gab mir ein gutes Liegegefühl. Nach knapp zwei Wochen wurde diese gegen eine normale ausgetauscht.
Mit jedem vergangenen Tag zog ein bisschen mehr Normalität in mein Leben. Die Wundheilung verlief dank einer Spezialbehandlung komplikationslos. Am ersten Weihnachtsfeiertag konnte meine Wunde in einer eineinhalbstündigen Operation endgültig verschlossen werden. Gut ein Jahr nach meiner Transplantation ist kaum noch eine Narbe zu sehen.
Für meinen Muskelaufbau gaben sich Physiotherapeuten viel Mühe. Die Übungen begannen mit Fahrrad fahren im Bett. Am neunten Tag nach meiner Transplantation holten mich zwei Schwestern und ein Physiotherapeut das erste Mal aus dem Bett. Das Sitzen auf der Bettkante ging gut, aber das Aufstehen habe ich alleine nicht geschafft. Stehen konnte ich überhaupt nicht. Ich spürte meine Beine nicht mehr. Der Physiotherapeut beruhigte mich: „Keine Sorge, Herr Hoppe, das kommt alles wieder. Wir werden uns jetzt jeden Tag um Sie kümmern.“
Vier Tage später konnte ich schon mit Hilfe der Therapeuten in einem therapeutischen Spezialgestell langsam laufen. Täglich wurde meine Gehstrecke ein Stückchen länger.
Heiligabend 2016 kamen Karin und Uwe nach Berlin, um mich über die Feiertage zu besuchen. Ich konnte ihnen zeigen, dass ich muskulär schon gut drauf war. Zwanzig Minuten Radfahren auf einem Spezialrad schaffte ich schon.
Am 28. Dezember 2016 erlebte ich in den Nachmittagsstunden in meinem Zimmer auf der Station H3 eine Schrecksekunde. Mir wurde schwindelig und ich fiel um. Zwei sofort durchgeführte CT und ein MRT am nächsten Morgen zeigten zum Glück negative Befunde.
Nach einer bewachten Nacht auf der Intensivstation wurde ich nach dem Mittagessen am nächsten Tag wieder auf die Station H3 verlegt.
Am 30. Dezember 2016 besuchte mich ein Biker-Pärchen im Herzzentrum. Sie brachten mir selbstgekochten Schokoladenpudding mit. Den ließ ich mir in der Silvesternacht von 2016 auf 2017 schmecken. Welch ein Genuss für mich! Das Berliner Feuerwerk zum Jahreswechsel sah ich in kleinen Teilen durch das Fenster meines Zimmers auf H3.
Das neue Jahr 2017 hatte für Karin zu Hause, für mich im Herzzentrum und auch für unsere Söhne gut begonnen, ln der ersten Woche des neuen Jahres besuchte mich Karin wieder in Berlin. Ein guter Bekannter von uns kam mit und fuhr beide Strecken. So war Karin weitestgehend entlastet.
Meine körperliche Stabilität verbesserte sich von Tag zu Tag. Waschen konnte ich mich nun schon ohne Hilfe einer Schwester. Die Wassereinlagerung, die ich noch in meinen Beinen hatte, wurde dank Lymphdrüsenmassagen weniger. Immer wieder wurde mir von dem medizinischen Personal gesagt, dass ich das Essen nicht vergessen solle. Mein Appetit hatte sich nach meiner Transplantation gleich wieder eingestellt. Das war ein Vorteil für mich. Für meinen Muskelaufbau bekam ich fettarme, eiweißreiche Nahrung sowie größere Portionen.
Mitte Januar kam eines Morgens Dr. Eiche* zu mir ins Zimmer. „Herr Hoppe, wir planen, Sie am 26. Januar zur Rehabilitationskur zu schicken. Die therapeutischen Fortschritte, die Sie machen, sind zufriedenstellend. So wäre die Kur der nächste Schritt für die Genesung.“ Kurzfristig konnte ich noch organisieren, dass Karin bei meiner dreiwöchigen Kur mit dabei sein konnte. Wir hatten ein Doppelzimmer. So kam es, dass mich ein Fahrer der Kurklinik am besagten Tag nach dem Frühstück im Berliner Herzzentrum abholte. Nach gut fünfzig Kilometern Fahrt erreichten wir die Klinik. Sie war mir bekannt. 2013, als ich mein Kunstherz bekommen hatte, war ich auch in dieser Rehaklinik. Karin reiste nach dem Mittagessen mit unserem Auto an.
Es waren kalte, aber zum Teil sonnige Tage in diesen beiden ersten Monaten des Jahres 2017. Meine Behandlungen waren fast immer in den Vormittagsstunden. Der Nachmittag stand uns für Unternehmungen zur freien Verfügung. Dabei war uns unser Auto sehr hilfreich.
Am 16. Februar 2017 war meine Kur beendet. Karin fuhr uns nach Hause. Bis zum heutigen Tag komme ich gut mit meinem Spenderherz zurecht und hoffe, es bleibt so.
Karin
Freud und Leid liegen oft nah beieinander. Das Leid der inzwischen festgestellten chronischen Krankheit bei mir wird gemildert durch die Freude, Zeit zu haben, mich intensiv um Frank-Rüdiger zu kümmern und all den Menschen zuzuwenden, die über Jahre und bis zum heutigen Tag mit mir gelacht und geweint haben.
DANKE!